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Wer braucht so eine Kamera?

Warum sollte ich mich mit einer Kamera beschäftigen, die bei (fast) jedem Test schlecht abschneidet und in den einschlägigen Foren ausgebuht wird? Aber das ist für mich alleine schon Grund genug, herauszufinden, was mit dieser Sigma dp Quattro-Kamera los ist.

Sigma dp0 quattro. Quelle: www.sigma-foto.de
Sigma dp0 quattro. Quelle: www.sigma-foto.de

Sigma baut nicht nur hervorragende Objektive.

Sigma hat sich über Jahrzehnte vom "Billighersteller" von Objektiven für namhafte Gehäuseproduzenten zum renommierten Lieferanten exzellenter High-End-Optiken entwickelt. Irgendwann muss bei Sigma jemand gedacht haben, dass man mit diesem Know-How auch selber Kameras bauen könnte. 

Seit einigen Jahren gibt es von Sigma nun  recht wenig beachtete Kameras, die nur anspruchsvollen Fotografen bekannt sind. Kern aller Kameras ist ein Sensor, den sonst keiner hat, der "Faveon"-Sensor. Gegenüber allen anderen Sensoren für digitale Kameras hat dieser den Vorteil, dass die Anordnung der Fototransistoren gänzlich anders, aber physikalisch optimal angeordnet ist. Warum darauf noch nie jemand gekommen war, bleibt unklar. Als Vorteil verspricht diese Bauart überaus scharfe und detailreiche Bilder.

Ein ganz anderes Konzept

Vielleicht dachte sich Sigma, wenn man schon einen revolutionären Sensor einbaut, dann kann die ganze Kamera ebenso anders sein. Und so ist es.

Die Sigma-Kameras finden vor allem deswegen so langsam nur Freunde, weil das  Sigma-Konzept erfordert, dass man sich hineindenkt und die Absichten von Sigma nicht nur versteht, sondern auch aktiv leben möchte.

Das klingt esoterisch, und das ist es in gewisser Weise auch. Sigma hat ganz offensichtlich den professionellen Sach-, Natur- und Architektur-Fotografen bei der Entwicklung im Auge gehabt, kompromisslos. Nicht die Populärzeitschriften und die Liga der Knippser sind die Zielgruppe.

Die Philosophie dahinter

Herausgekommen ist eine Serie von kompakten Kameras, die auf den Profi zugeschnitten sind: 

  • Kein Schnickschnack, keine Videos – nur das Foto zählt.
  • Beste Qualität aus allen Blickwinkeln: die festverbaute Optik ist optimiert auf die Auflösung des Faveon-Sensors.
  • Tadellose Verarbeitung des Gehäuses
  • Reduktion der Bedienelemente und Menüfelder auf das für Profis Sinnvolle.

Diese Philosophie hat auf den zweiten Blick ihre Nachteile, wenn man an überkommenen Digital-Vorstellungen klebt. Auf den dritten Blick erschließt sich eine neue Welt des Fotografierens – ja, und auch der unglaublichen Fotos.

  • Auf das Foto klicken!
  • Umleitung auf Prodibi, wo die Fotos liegen.
  • Mausklick vergrößert bis 100% (siehe unten rechts)
  • Blättern mit mit < und >
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PS:

Wenn man bei manchen der Fotos genau hinschaut, sieht man, dass es Geisterbilder gibt, wenn sich zum Beispiel Zweige im Wind bewegt haben während der 7 Aufnahmen.
Beim Bild vom Brunnen kann man mit gutem Auge JPEG-Komprimierungsartefakte in den Wasserstrahlen unten links sehen; das ist das einzige JPEG-Foto, die anderen sind TIFF.

Die ersten aufnahmen mit der Sigma

Sehr ungewohnt sieht sie aus: Ein ultraschlankes Gehäuse, ein abgewinkelter Handgriff, nur wenige Taster und Einstellräder. Und das Design alleine reicht in den Foren schon, um sie keiner weiterer Erwähnung zu würdigen. Wie oberflächlich kann man noch sein?

Tatsächlich braucht es Mut zur Gewöhnung, nach tausend Fotos waren wir miteinander verwachsen, alle anderen Kameras erscheinen mir heute unergonomisch.

Nach den ersten Bildern wollte ich sie zurückschicken, ja, ich war ganz sicher. Sie hat keinen Sucher, das Display löst unzeitgemäß schlecht auf, das Speichern der Bilddaten dauert gefühlt eine nicht tolerierbare Ewigkeit. Eine schnellere SD-Karte bringt keine Abhilfe. 

Tatsächlich waren die ersten Aufnahmen schlecht, ich hatte so fotografiert, wie man es digital gewöhnt ist. JPEG und RAW, natürlich aus der Hand, verrauscht, verwackelt. Und immer die lästige Warterei, das nächste Motiv war längst über alle Berge, bevor die Schweige-Speicherminute rum war.

Die Fotos der Sigma-Profis im Internet waren da ganz anders: Knackscharf, unglaublich detailreich, mit atemberaubendem Belichtungsspielraum. Es musste an mir liegen.

Sigma, ich habe verstanden.

Meine Test-Reise führte nach Kanada, in die Ruhe der Berg- und Seenwelt. Ich habe mich erinnert an den Beginn meiner Fotografen-Karriere: 12 Aufnahmen pro Film, nie ohne Stativ, Muße bei der Bildgestaltung, überzeugt sein, dass das Foto das beste der Welt werden wird – und dann auslösen und das Stativ wieder einpacken.

Die Sigma ist die Kamera für Profis, bei denen Zeit auch Geld bedeutet. Kein Schnickschnack eben, aber alle Werkzeuge und Arbeitsmittel genauso, wie man sie braucht. Eine Kamera nicht zum Spielen mit Menüs und Knöpfen, sondern mit den notwendigen Elementen, und keins zuviel. Nicht viel mehr Bedienung als mit meiner Rollei 6000 – ganz im Gegensatz zur Sony A7, die mir ebenfalls hervorragende Bilder liefert, aber deren Menüs ich immer noch nicht ergründet habe. 

Entschleunigen und auf das Motiv und den Bildaufbau konzentrieren. Nicht in JPEG oder RAW denken, das ist unwichtig, es zählt nur das Foto, nicht die Technik dahinter, Sigma kümmert sich um den Rest. 

Die besten Fotos brauchen keinen Schnickschnack

Die Erkenntnis ist nicht neu, Anselm Adams und andere Meisterfotografen hatten analoge Kameras und haben damit Ikonen der Zeitgeschichte geschaffen. Genau dafür ist die Sigma gemacht. Das Display dient der Bildgestaltung – seine Auflösung reicht dazu allemal. Die ausgedehnte Speicherdauer ist kürzer als die Zeit, um das Stativ zusammenzuschieben. Alle Tasten und Räder sind da, wo der Finger sie vermutet, und nicht nur das: Alle Funktionen liegen dynamisch gerade auf den Tasten, wo man sie intuitiv gesucht hätte, die Perfektion liegt im Detail der begrenzten Funktionsausstattung und in der Innovation, das Wesentliche vom Unnötigen zu trennen und letzteres wegzulassen.

High-End-Fotografie – ein bisschen analog

An was sollte man sich gewöhnen? Zunächst an das obligatorische Stativ. Als nächstes daran, dass man ausschließlich den einzigartigen SFD-Modus verwendet, der die Kamera auf kluge Standardeinstellungen versetzt und dann 7 Bilder nacheinander mit variierender Belichtungszeit aufnimmt. Diese werden in einen Container als 1 Datei gepackt, die rund 350 MB groß ist – daher dauert das Speichern auch so lange! 

7 Einzelfotos pro Aufnahme bedeutet auch, dass

  • sich keine bewegten Objekte im Bildaufbau befinden sollten, sonst kann es Geisterbilder geben.
  • man keine manuelle Belichtungsreihe benötigt, wie in der herkömmlichen Fotografie zum Erhöhen des Belichtungsspielraumes
  • der Gesamtvorgang der Belichtung durchaus eine halbe Minute dauert, je nach Blende und Tiefenschärfe
  • in der Bildbearbeitung einer schneller Rechner Pflicht ist.
  • man zum Entwickeln die originale Sigma-Software verwendet.

Fazit

Nein, keine Kamera für Knippser. Keine Kamera für Stammtischdiskussionen. Aber ein High-End-Werkzeug für Profis, die mit Naturfotografie und Sachfotografie ihren Lebensunterhalt verdienen. Für Fotografen, die sich auf die Bildgestaltung konzentrieren, und noch nie die Serienbildfunktion vermisst haben. 

Ich habe festgestellt, dass ich so gut wie keinen Ausschuss habe, das Konzentrieren auf das Wesentliche vermeidet überschüssiges Bildmaterial.

 

PS

Ja, richtig, der Akku hält keine 200 Aufnahmen. Macht nichts, ich brauche pro Einstellung ja nur ein einziges Foto.

 

PPS

Ja, auch richtig: Die Speicherkarte ist schnell voll, fast 400 MB pro Foto. Photoshop kann das Bild nicht öffnen.


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Kommentare: 10
  • #1

    Winfried (Freitag, 19 Februar 2021 15:28)

    Hallo, durch Zufall habe ich diesen Erfahrungsbericht der Sigma-Exoten-Kameras gelesen und fand ihn sehr nüchtern und ehrlich geschrieben, ich bin vom Sigma-Virus durchsetzt. Habe einige Sigmakameras (aber keine fp) und benutze sie sehr oft bis täglich. Es ist die Aura der Fotos die einen so süchtig macht. Die ganzen „Nachteile“ sind mir egal denn für mich zählt das fertige Bild und die sind „umwerfend“. Sollte hier ein Leser der Ansicht sein das für ihn die Kamera nicht das richtige ist! ich suche noch eine günstige SD Quattro 0 (14mm), denn die fehlt mir noch in meiner Sammlung. Danke und weiter so schön schreiben.

  • #2

    Winfried (Freitag, 19 Februar 2021 15:33)

    Bei der Kamerasuche habe ich mich aber verschrieben, es sollte natürlich DP Quattro 0 heißen. Entschuldigung bitte.

  • #3

    Ulrich Thiele (Sonntag, 21 Februar 2021 12:37)

    Lieber Winfried, danke für Ihr Lob, ja, "Virus-durchsetzt", das trifft es inzwischen - wie man sieht - ebenfalls. Und: Es zählt das fertige Bild, die Quattros zwingen geradezu dazu, sich Zeit für jedes Bild zu nehmen. Nein, ein Fotonachmittag produziert nicht 1000 Bilder, sondern nur 10. Und das sind genau die Besten.
    Nicht zu selten sind gute Angebote für die DP0, zwischen 500-800 EUR geht es. Und: Ich habe inzwischen 3 DPs, und man wundert sich: Mit der 14mm habe ich etwa 20mal mehr Bilder gemacht als mit den anderen - dieses Format fängt einfach die Landschaft am besten ein.
    Ja, ich werde weiter schreiben! Inzwischen gibt es viele neue und gute Erfahrungen mit den Sigmas.

  • #4

    VolkerEigen (Freitag, 18 März 2022 15:21)

    Hallo , ich habe mir erst letztes jahr im Oktober eine dp0 geholt,
    zu erst jedoch fleißig bilder gemacht und und reiheneweise konnte ich die bilder vergessen , erst durch deine Seite habe die richtige Grundeinstellungen für die Kamera machen können.
    Danach wurden die Bilder auch viel besser und eines ist klar knipsen kann jeder aber für ein gutes Foto musst immer noch zum richtigen Zeitpunkt aufschlagen und den Kopf drücken. Lightroom oder Adobe im nachgang ist nicht nötig und verschwendet nur Zeit. Die Zeit kann man besser in weitere gute Fotos investiert.

  • #5

    gerhard.cervenka@mnet-online.de (Dienstag, 28 Juni 2022 19:14)

    Danke für diesen Bericht! Ich kann alles nur bestätigen - aber noch eine Stufe unkomfortabler mit meinen MERRILLS. Die DP1 bringe ich, mit einer zufällig 100% passenden hochwertigen Vorsatzlinse von RIcoh, auch auf 21 mm Weitwinkel. Jetzt wollte ich mir doch noch eine DP0 zulegen. Leider nicht mehr zu bekommen. Oder weiß noch jemand eine Quelle?
    LG Gerhard

  • #6

    Ulrich Thiel (Dienstag, 11 Oktober 2022 18:49)

    Lieber Volker, freut mich, dass Dir meine Hinweise helfen konnten! Und ja richtig: Ich nutze nur noch ganz selten eine nachgeschaltete Bildbearbeitung, bei mir ist es Luminar oder gegen stürzende Linien manchmal DxO View Point.

  • #7

    Winfried (Samstag, 06 April 2024 16:36)

    Hallo in die Sigma-Runde, ja es ist schon einige Zeit her und ich bin noch immer vom Sigma-Fieber gepackt, meine DP1 und 3 M und eine SD QH sind noch immer im Einsatz. Für alle die sich noch jener Seuche wiederstehen konnten kann ich nur sagen, fangt nur damit an wenn ihr es ernsthaft wollt, ihr kommt nicht wieder davon los. Ich besitze eine GFX 50r und drei erstklassige Mamiya RZ Gläser die ich per Adapter benutze, ABER: der Aufwand und das Gewicht bringen der Fuji keinen Vorteil ( bei hohen ISO doch) den die Sigmas bleiben eine eigene Klasse � PS. suche immernoch eine DP Quattro 0, die Händler werden immer teurer. Leider kann die BQ der 0 nicht an eine Merrill heran.

  • #8

    Ulrich Thiele (Dienstag, 09 April 2024 12:50)

    @Winfried:
    Ich habe nach Deinem ersten Blogbeitrag immer wieder bei MPB nachgeschaut, und mir dort auch einen Alarm für die dp0 eingerichtet. Tatsächlich gibt es dort hin und wieder dp0-Kameras, ich empfehle einfach, dort auch einen Alarm zu platzieren. Zur Vervollständigung meiner dp-Sammlung habe ich dort auch letzte Woche eine dp1 erstanden.

    Inzwischen habe ich ebenfalls eine SD und eine SD H mit verschiedenen Sigma Art-Brennweiten. Die Objektive sind vollkommen tadellos, lichtstark, aber auch sehr schwer. Das Gewicht einer Ausrüstung für unterwegs ist kaum tragbar.

    Die Bildqualität der dp vs. SD ist kaum - oder besser gar nicht - unterschiedlich. Vorteile bei der der SD gibt es für mich nur durch die höhere Lichtstärke der Objektive, die ich habe.

    Alles in allem: Wenn es eine Kamera gäbe, die besser als die Sigmas wäre, dann würde ich die haben. Gibt es aber nicht. Vor allem allerdings dann nicht, wenn man von seinen Motiven her in niedrigen ISO-Werten und langen Aufnahmezeiten keinen Nachteil sieht. Die Sigmas erziehen zum Fotografieren wie in der Analogzeit, und das tut der Bildqualität sehr gut.

  • #9

    Ulrich Thiele (Dienstag, 09 April 2024 12:51)

    @Winfried:
    https://www.mpb.com/de-de/suchen?q=Sigma%20DP0%20Quattro

  • #10

    Winfried (Montag, 22 April 2024 20:53)

    Hallo Ulrich (Sigmafreunde duzen sich). Habe die Verkaufsplattform besuche ich oft und konnte auch mal eine DP0 Q finden, aber zu teuer für mich, ich möchte sie haben aber nicht den Händler Reich machen, denn die Ankaufspreise bei MPB sind abartig niedrig, das unterstütze ich nicht gern. Hatte zwischendurch bei Amaz.... mal eine mit Displaylupe ( so ein sperriges etwas) durch die ich mit Gleitsichtbrille nichts sehen konnte und Dioptrien einstellen hat nix genutzt, wohl hatte sie auch noch eine Macke, deshalb gab ich sie zurück. Deshalb kaufe ich nichts mehr bei Ebay oder so, zu oft Probleme gehabt. Ich bleibe dran, habe ja genug Kameras, deshalb benutze ich gern die SDQ H wegen des Suchers. Nehme für Bodennahe Aufnahmen gern einen kleinen Schminkspiegel mit, in den ich dann schräg bequem von oben schauen kann, kleines Stativ hat man ja dabei. Viel Spaß noch mit Sigmas.