Warum sollte ich mich mit einer Kamera beschäftigen, die bei (fast) jedem Test schlecht abschneidet und in den einschlägigen Foren ausgebuht wird? Aber das ist für mich alleine schon Grund genug, herauszufinden, was mit dieser Sigma dp Quattro-Kamera los ist.

Sigma baut nicht nur hervorragende Objektive.
Sigma hat sich über Jahrzehnte vom "Billighersteller" von Objektiven für namhafte Gehäuseproduzenten zum renommierten Lieferanten exzellenter High-End-Optiken entwickelt. Irgendwann muss bei Sigma jemand gedacht haben, dass man mit diesem Know-How auch selber Kameras bauen könnte.
Seit einigen Jahren gibt es von Sigma nun recht wenig beachtete Kameras, die nur anspruchsvollen Fotografen bekannt sind. Kern aller Kameras ist ein Sensor, den sonst keiner hat, der "Faveon"-Sensor. Gegenüber allen anderen Sensoren für digitale Kameras hat dieser den Vorteil, dass die Anordnung der Fototransistoren gänzlich anders, aber physikalisch optimal angeordnet ist. Warum darauf noch nie jemand gekommen war, bleibt unklar. Als Vorteil verspricht diese Bauart überaus scharfe und detailreiche Bilder.
Ein ganz anderes Konzept
Vielleicht dachte sich Sigma, wenn man schon einen revolutionären Sensor einbaut, dann kann die ganze Kamera ebenso anders sein. Und so ist es.
Die Sigma-Kameras finden vor allem deswegen so langsam nur Freunde, weil das Sigma-Konzept erfordert, dass man sich hineindenkt und die Absichten von Sigma nicht nur versteht, sondern auch aktiv leben möchte.
Das klingt esoterisch, und das ist es in gewisser Weise auch. Sigma hat ganz offensichtlich den professionellen Sach-, Natur- und Architektur-Fotografen bei der Entwicklung im Auge gehabt, kompromisslos. Nicht die Populärzeitschriften und die Liga der Knippser sind die Zielgruppe.
Die Philosophie dahinter
Herausgekommen ist eine Serie von kompakten Kameras, die auf den Profi zugeschnitten sind:
- Kein Schnickschnack, keine Videos – nur das Foto zählt.
- Beste Qualität aus allen Blickwinkeln: die festverbaute Optik ist optimiert auf die Auflösung des Faveon-Sensors.
- Tadellose Verarbeitung des Gehäuses
- Reduktion der Bedienelemente und Menüfelder auf das für Profis Sinnvolle.
Diese Philosophie hat auf den zweiten Blick ihre Nachteile, wenn man an überkommenen Digital-Vorstellungen klebt. Auf den dritten Blick erschließt sich eine neue Welt des Fotografierens – ja, und auch der unglaublichen Fotos.
- Auf das Foto klicken!
- Umleitung auf Prodibi, wo die Fotos liegen.
- Mausklick vergrößert bis 100% (siehe unten rechts)
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PS:
Wenn man bei manchen der Fotos genau hinschaut, sieht man, dass es Geisterbilder gibt, wenn sich zum Beispiel Zweige im Wind bewegt haben während der 7 Aufnahmen.
Beim Bild vom Brunnen kann man mit gutem Auge JPEG-Komprimierungsartefakte in den Wasserstrahlen unten links sehen; das ist das einzige JPEG-Foto, die anderen sind TIFF.
Die ersten aufnahmen mit der Sigma
Sehr ungewohnt sieht sie aus: Ein ultraschlankes Gehäuse, ein abgewinkelter Handgriff, nur wenige Taster und Einstellräder. Und das Design alleine reicht in den Foren schon, um sie keiner weiterer Erwähnung zu würdigen. Wie oberflächlich kann man noch sein?
Tatsächlich braucht es Mut zur Gewöhnung, nach tausend Fotos waren wir miteinander verwachsen, alle anderen Kameras erscheinen mir heute unergonomisch.
Nach den ersten Bildern wollte ich sie zurückschicken, ja, ich war ganz sicher. Sie hat keinen Sucher, das Display löst unzeitgemäß schlecht auf, das Speichern der Bilddaten dauert gefühlt eine nicht tolerierbare Ewigkeit. Eine schnellere SD-Karte bringt keine Abhilfe.
Tatsächlich waren die ersten Aufnahmen schlecht, ich hatte so fotografiert, wie man es digital gewöhnt ist. JPEG und RAW, natürlich aus der Hand, verrauscht, verwackelt. Und immer die lästige Warterei, das nächste Motiv war längst über alle Berge, bevor die Schweige-Speicherminute rum war.
Die Fotos der Sigma-Profis im Internet waren da ganz anders: Knackscharf, unglaublich detailreich, mit atemberaubendem Belichtungsspielraum. Es musste an mir liegen.
Sigma, ich habe verstanden.
Meine Test-Reise führte nach Kanada, in die Ruhe der Berg- und Seenwelt. Ich habe mich erinnert an den Beginn meiner Fotografen-Karriere: 12 Aufnahmen pro Film, nie ohne Stativ, Muße bei der Bildgestaltung, überzeugt sein, dass das Foto das beste der Welt werden wird – und dann auslösen und das Stativ wieder einpacken.
Die Sigma ist die Kamera für Profis, bei denen Zeit auch Geld bedeutet. Kein Schnickschnack eben, aber alle Werkzeuge und Arbeitsmittel genauso, wie man sie braucht. Eine Kamera nicht zum Spielen mit Menüs und Knöpfen, sondern mit den notwendigen Elementen, und keins zuviel. Nicht viel mehr Bedienung als mit meiner Rollei 6000 – ganz im Gegensatz zur Sony A7, die mir ebenfalls hervorragende Bilder liefert, aber deren Menüs ich immer noch nicht ergründet habe.
Entschleunigen und auf das Motiv und den Bildaufbau konzentrieren. Nicht in JPEG oder RAW denken, das ist unwichtig, es zählt nur das Foto, nicht die Technik dahinter, Sigma kümmert sich um den Rest.
Die besten Fotos brauchen keinen Schnickschnack
Die Erkenntnis ist nicht neu, Anselm Adams und andere Meisterfotografen hatten analoge Kameras und haben damit Ikonen der Zeitgeschichte geschaffen. Genau dafür ist die Sigma gemacht. Das Display dient der Bildgestaltung – seine Auflösung reicht dazu allemal. Die ausgedehnte Speicherdauer ist kürzer als die Zeit, um das Stativ zusammenzuschieben. Alle Tasten und Räder sind da, wo der Finger sie vermutet, und nicht nur das: Alle Funktionen liegen dynamisch gerade auf den Tasten, wo man sie intuitiv gesucht hätte, die Perfektion liegt im Detail der begrenzten Funktionsausstattung und in der Innovation, das Wesentliche vom Unnötigen zu trennen und letzteres wegzulassen.
High-End-Fotografie – ein bisschen analog
An was sollte man sich gewöhnen? Zunächst an das obligatorische Stativ. Als nächstes daran, dass man ausschließlich den einzigartigen SFD-Modus verwendet, der die Kamera auf kluge Standardeinstellungen versetzt und dann 7 Bilder nacheinander mit variierender Belichtungszeit aufnimmt. Diese werden in einen Container als 1 Datei gepackt, die rund 350 MB groß ist – daher dauert das Speichern auch so lange!
7 Einzelfotos pro Aufnahme bedeutet auch, dass
- sich keine bewegten Objekte im Bildaufbau befinden sollten, sonst kann es Geisterbilder geben.
- man keine manuelle Belichtungsreihe benötigt, wie in der herkömmlichen Fotografie zum Erhöhen des Belichtungsspielraumes
- der Gesamtvorgang der Belichtung durchaus eine halbe Minute dauert, je nach Blende und Tiefenschärfe
- in der Bildbearbeitung einer schneller Rechner Pflicht ist.
- man zum Entwickeln die originale Sigma-Software verwendet.
Fazit
Nein, keine Kamera für Knippser. Keine Kamera für Stammtischdiskussionen. Aber ein High-End-Werkzeug für Profis, die mit Naturfotografie und Sachfotografie ihren Lebensunterhalt verdienen. Für Fotografen, die sich auf die Bildgestaltung konzentrieren, und noch nie die Serienbildfunktion vermisst haben.
Ich habe festgestellt, dass ich so gut wie keinen Ausschuss habe, das Konzentrieren auf das Wesentliche vermeidet überschüssiges Bildmaterial.
PS
Ja, richtig, der Akku hält keine 200 Aufnahmen. Macht nichts, ich brauche pro Einstellung ja nur ein einziges Foto.
PPS
Ja, auch richtig: Die Speicherkarte ist schnell voll, fast 400 MB pro Foto. Photoshop kann das Bild nicht öffnen.
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Winfried (Freitag, 19 Februar 2021 15:28)
Hallo, durch Zufall habe ich diesen Erfahrungsbericht der Sigma-Exoten-Kameras gelesen und fand ihn sehr nüchtern und ehrlich geschrieben, ich bin vom Sigma-Virus durchsetzt. Habe einige Sigmakameras (aber keine fp) und benutze sie sehr oft bis täglich. Es ist die Aura der Fotos die einen so süchtig macht. Die ganzen „Nachteile“ sind mir egal denn für mich zählt das fertige Bild und die sind „umwerfend“. Sollte hier ein Leser der Ansicht sein das für ihn die Kamera nicht das richtige ist! ich suche noch eine günstige SD Quattro 0 (14mm), denn die fehlt mir noch in meiner Sammlung. Danke und weiter so schön schreiben.
Winfried (Freitag, 19 Februar 2021 15:33)
Bei der Kamerasuche habe ich mich aber verschrieben, es sollte natürlich DP Quattro 0 heißen. Entschuldigung bitte.
Ulrich Thiele (Sonntag, 21 Februar 2021 12:37)
Lieber Winfried, danke für Ihr Lob, ja, "Virus-durchsetzt", das trifft es inzwischen - wie man sieht - ebenfalls. Und: Es zählt das fertige Bild, die Quattros zwingen geradezu dazu, sich Zeit für jedes Bild zu nehmen. Nein, ein Fotonachmittag produziert nicht 1000 Bilder, sondern nur 10. Und das sind genau die Besten.
Nicht zu selten sind gute Angebote für die DP0, zwischen 500-800 EUR geht es. Und: Ich habe inzwischen 3 DPs, und man wundert sich: Mit der 14mm habe ich etwa 20mal mehr Bilder gemacht als mit den anderen - dieses Format fängt einfach die Landschaft am besten ein.
Ja, ich werde weiter schreiben! Inzwischen gibt es viele neue und gute Erfahrungen mit den Sigmas.
VolkerEigen (Freitag, 18 März 2022 15:21)
Hallo , ich habe mir erst letztes jahr im Oktober eine dp0 geholt,
zu erst jedoch fleißig bilder gemacht und und reiheneweise konnte ich die bilder vergessen , erst durch deine Seite habe die richtige Grundeinstellungen für die Kamera machen können.
Danach wurden die Bilder auch viel besser und eines ist klar knipsen kann jeder aber für ein gutes Foto musst immer noch zum richtigen Zeitpunkt aufschlagen und den Kopf drücken. Lightroom oder Adobe im nachgang ist nicht nötig und verschwendet nur Zeit. Die Zeit kann man besser in weitere gute Fotos investiert.
gerhard.cervenka@mnet-online.de (Dienstag, 28 Juni 2022 19:14)
Danke für diesen Bericht! Ich kann alles nur bestätigen - aber noch eine Stufe unkomfortabler mit meinen MERRILLS. Die DP1 bringe ich, mit einer zufällig 100% passenden hochwertigen Vorsatzlinse von RIcoh, auch auf 21 mm Weitwinkel. Jetzt wollte ich mir doch noch eine DP0 zulegen. Leider nicht mehr zu bekommen. Oder weiß noch jemand eine Quelle?
LG Gerhard
Ulrich Thiel (Dienstag, 11 Oktober 2022 18:49)
Lieber Volker, freut mich, dass Dir meine Hinweise helfen konnten! Und ja richtig: Ich nutze nur noch ganz selten eine nachgeschaltete Bildbearbeitung, bei mir ist es Luminar oder gegen stürzende Linien manchmal DxO View Point.